Nach draußen gehen, nach innen finden: Erfahrungen mit Achtsamkeit in der Natur

Laut Google Trends interessierten sich heute doppelt so viele Menschen für Achtsamkeit als noch vor fünf Jahren. Grund genug, bei Seminarleiter Frederik nachzufragen, was es damit auf sich hat. Frederik begleitet Menschen in die Natur und kennt wichtige Stolperfallen auf dem Weg zu mehr Achtsamkeit aus eigener Erfahrung. Aber sieh selbst.

Junger Mann mit Bart und Lächeln
Frederik Schonath: Achtsamkeitslehrer

Wainando: Achtsamkeit bedeutet, den gegenwärtigen Moment zuzulassen, so wie er ist. Ganz ohne Bewertung. Wie hat diese Praxis dein Leben verändert?
Frederik: Achtsamkeit hat für mich nicht das Ziel, wertfrei, sondern urteilsfrei zu sein. Wir bewerten jeden Moment, ob wir wollen oder nicht. Das bringen die Erfahrungen mit sich, die wir in unserem Leben gemacht haben. Die Frage ist nur, wie wir damit umgehen.

In meinem Leben wurden mit der Zeit nicht nur die Momente urteilsfrei, sondern auch meine Selbstbewertung. Das ist es, was guttut. Ich nehme den Moment so, wie er ist. Und mich selbst so, wie ich bin.

Wainando: Es gibt viele Methoden, die zu mehr Achtsamkeit verhelfen. Darunter Yoga, Atemübungen, Gehmeditation oder die bewusste Wahrnehmung des Körpers oder der Natur. Welche funktioniert bei dir am besten und warum? 
Frederik: Mir geht es am besten, wenn ich mich frei mache. Das gelingt mir am besten in der Natur. Wenn ich Yoga mache, habe ich ja schon wieder ein Ziel, irgendetwas zu tun, damit ich irgendetwas erreiche. In mir erzeugt das immer Druck, Erwartungen zu erfüllen. Es nimmt mir meine Freiheit. In der Natur bin ich einfach da. Ich mache nichts, um etwas zu erreichen, ich will nichts herausfinden, ich will nicht wissen, wie die Bäume um mich herum heißen. Ich bin einfach nur unterwegs, folge meinem Interesse und lasse mich leiten.

Wainando: Wer achtsam durch die Natur geht, nimmt alles intensiver wahr. Farben, Geräusche und Düfte dringen auf einmal durch den Nebel unserer Gedanken. Wie hat sich deine Beziehung zur Natur durch diese neuen Wahrnehmungen verändert?
Frederik: Wenn ich achtsam in der Natur unterwegs bin und mich einfach leiten lasse, entsteht eine Beziehung mit der Natur. Ich gehe eine Verbindung mit der Natur ein. Das Wort „Interesse“ beschreibt alles. „Inter-esse“ (lat. für dazwischen sein, Anteil nehmen), also mit etwas in Beziehung gehen und Teil von etwas sein, wirklich drin sein. Es ist kein Zufall, dass wir sagen: „in die Natur gehen“.
Das ist für mich authentische Beziehung. In diesem authentischen Dialog bin ich mir selbst am nächsten. Ich gehe wirklich hinein, tauche wirklich ein. Dann passieren die Sinneswahrnehmungen ganz automatisch, die Natur wirkt auf dich.

Achtsamkeit: persönliche Erfahrungen in der Natur | Wainando

Wainando: Du begleitest Menschen dabei, in neue Erfahrungswelten einzutauchen. Welches Erlebnis ist dir dabei besonders in Erinnerung geblieben?
Frederik: Alle Erlebnisse für sich sind so intensiv und so besonders. Es ist schwer, eines herauszusuchen. Ich gehe morgens immer eine Stunde in die Natur mit den Teilnehmern, jeder für sich. Die Aufgabe dabei ist, dass es keine Aufgabe gibt. Einfach nur schauen, was passiert. Wie bei allen meinen Seminaren hat jeder sehr viel Spielraum, wie er das gestalten will. Eine Teilnehmerin ist zum Beispiel einfach barfuß über die Blumenwiese vorm Haus gelaufen. Als sie dann nach einer Stunde wieder da war, hatte sie Tränen im Gesicht. Sie hat sich in der Zeit zurückgesetzt gefühlt, wie damals, als sie ein kleines Mädchen war und barfuß durch die Blumenweise gelaufen ist. Es fasziniert mich, dass so sanfte Impulse so intensive Wirkungen haben können.

Wainando: Manchmal will das Gedankenkarussell einfach nicht anhalten. Was tust du in solchen Momenten, um dich wieder mit der Natur zu verbinden?
Frederik: Weiterdenken. Ich möchte mir keinen Riegel vorschieben, um dann wieder in einen Zustand kommen zu müssen. Wenn jetzt wieder Zeit ist zu denken, dann denke ich eben. Diese einfache Haltung nimmt mir so viel Druck, in Achtsamkeit kommen zu müssen. Dadurch geschieht es dann ganz von alleine, dass ich achtsam bin. Das Stichwort hier ist, in jedem Moment seinem Interesse zu folgen. Wenn das in dem Moment Gedanken sind, dann ist das eben so.

Wainando: In der Stadt prasseln viel mehr Eindrücke auf uns ein als in der Natur. Wie schaffst du es, auch dort achtsam zu sein?
Frederik: Ehrlich gesagt, nicht so gut. Es fällt mir schwer, die Menge der Reize auszublenden. Ich brauche die Natur als Ausgleich. Deshalb suche ich mir in der Stadt ein grünes Fleckchen.

Wainando: Welchen Tipp möchtest du Menschen mit auf den Weg geben, die achtsamer durch die Natur gehen wollen?
Frederik: Ohne Erwartungen und ohne ein bestimmtes Ziel loslaufen! Ein guter praktischer Tipp ist: Geh einfach in die Natur und lass Dich treiben. Egal ob auf Wegen oder fernab von Wegen, folge einfach deinem Interesse.

Wainando: Herzlichen Dank für das Interview.

Mehr über Frederik Schonath:

Bevor Frederik Seminarleiter wurde, war er Werbefilmer. Dann krempelte er sein Leben allerdings von Grund um. Er wurde staatlich geprüfter Bergwanderführer, Naturführer und Heilpraktiker für Psychotherapie. Heute ist es ihm wichtig sein neues Lebensverständnis mit anderen zu teilen und gibt Seminare in Tirol zum Beispiel Winterwanderungen oder andere kreative Naturerlebnisse.

1 Gedanke zu “Nach draußen gehen, nach innen finden: Erfahrungen mit Achtsamkeit in der Natur

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